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Vormärz – ein Sturm kommt auf über Europa

 

Napoleon auf dem Pferd vor dem VormärzEine Betrachtung der Literatur im Vormärz ist ein bisschen so, wie einem Sturm in seiner Entstehung zuzusehen: Alles läuft auf den Moment zu, in dem die revolutionären liberal-nationalistischen Tendenzen im März 1848 eskalierten und sich das Streben nach Einigkeit und Recht und Freiheit gegen Restauration und Repressionen Bahn brach. Die Texte des Vormärz waren das Grollen über Europa, das den Sturm, die drohende Revolution, ankündigte. Anhand von Literatur lassen sich die gesellschaftlichen Entwicklungen der Entstehungszeit immer sehr gut nachvollziehen. Zugleich kann Literatur auch ein Katalysator für gesellschaftliche Entwicklungen sein. Sie bedingen sich gegenseitig und sind nicht voneinander zu trennen. Insbesondere dann nicht, wenn es um zutiefst politische Literaturströmungen wie den Vormärz geht.

 

Die Hintergründe der Literatur des Vormärz


Der Vormärz entwickelte sich zeitgleich zu einer Literaturströmung, die sich kaum stärker von ihm hätte unterscheiden können. Während der Vormärz Ausdruck tiefster politischer Überzeugung war, nahm sich das Biedermeier politisch vollständig zurück. Beide literarischen Reaktionen haben jedoch die gleichen Auslöser: den Wiener Kongress und die Karlsbader Beschlüsse. Um sie zu verstehen, müssen wir ein Stück in die Vergangenheit zurück gehen. In die kurze Ruhe vor dem Sturm. Wir schreiben das Jahr 1814. Napoleon hat soeben seine Abdankung unterzeichnet und damit den Weg für ein neues Europa frei gemacht. Nach acht Jahren der napoleonischen Schreckensherrschaft schien es beinah unmöglich, einfach zu den Verhältnissen vor 1806 zurückzukehren. Doch genau das war das Bestreben vieler Teilnehmer des Wiener Kongresses, auf dem die Neuordnung Europas – sowohl geografisch als auch politisch, rechtlich und ideell – beschlossen werden sollte. Diese reaktionären Kräfte der Restauration wünschten sich einen starken Kaiser nach dem Vorbild des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen, der die erstarkten Fürstentümer, etwa Bayern, Württemberg und Sachsen, in ihre Schranken verweisen könnte.

 

Hintergründe zum Vormärz und der Literaturepoche finden Sie in diesen Büchern:

 

 

Andere wiederum sahen diese Stunde null als Möglichkeit, einen ganz neuen Weg einzuschlagen, als Gelegenheit, die deutschen Staaten zu vereinen und zu einer Republik zu machen, in der jeder wählen und seine Meinung zum Ausdruck bringen könnte, in der es Presse- und Versammlungsfreiheit geben und der einfache Mann im Parlament Gehör finden würde. Doch weder die einen noch die anderen konnten sich auf dem Wiener Kongress durchsetzen und so wurde in der Wiener Bundesakte vom 8. Juli 1815 die Gründung des Deutschen Bundes beschlossen, eines losen völkerrechtlichen Staatenverbandes mit 41 Mitgliedern und ohne eigenes Staatsoberhaupt. Sein Ziel war es, die äußere und innere „Sicherheit Deutschlands, die Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der deutschen Staaten" zu erhalten. Eine Verteidigungsunion also, die die revolutionären Kräfte kaum zufrieden stellen konnte. Die Werke des Vormärz sind der beste Beweis dafür: die Gedichte, die dem „Jungen Deutschland“ unter Heinrich Heine als politische Instrumente dienten, die wenigen satirischen Dramen und die Epik, die in „Deutschland. Ein Wintermärchen“ ihren Höhepunkt fand. Große Teile der Bevölkerung aber gaben sich mit dem Ergebnis des Kongresses zufrieden. Sie waren froh, dass es Frieden gab und hielten still. Ihre Literatur, die Texte der Biedermeierzeit, legt davon Zeugnis ab.

 

Vormärz zwischen Repression und Revolution


Vielleicht ist die Gründung des Deutschen Bundes als Auslöser für den Sturm zu betrachten, der sich nun über Europa zusammenbraute und der in der Literatur des Vormärz seinen Ausdruck und Katalysator fand. Der Gedanke an ein liberal-nationales, einiges deutsches Vaterland war nun, da er einmal im Raum gestanden hatte, nicht mehr tot zu kriegen. Auf dem Wartburgfest 1817 fand der Vormärz seinen ersten Höhepunkt: Die versammelten Studenten und Professoren der Deutschen Burschenschaft  forderten hier staatliche Einheit, Rede- und Pressefreiheit sowie ein einheitliches deutsches Recht. Doch die Erinnerung an die Französische Revolution und ihre Folgen war noch nicht verblasst. Die Fürsten sahen ihre Vorherrschaft in ernster Gefahr und reagierten mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819, einem Maßnahmenkatalog zur Verfolgung politischer Gegner, der die oppositionellen Kräfte deutlich einschränkte, eine Zensur verhängte, die Deutsche Burschenschaft verbot und es erlaubte, die Universitäten, als Keimzellen der Revolution, strengstens zu überwachen. Massive Repressionen waren die Folge, die weitgehend für Ruhe sorgten.

 

Revolution am Ende des VormärzDie Ängstlicheren zogen sich ins Private zurück, verschlossen Augen und Ohren vor den Repressionen und hielten den Mund. Sie gaben sich in den Texten des Biedermeiers gefühlvoll, familiär und gesellig und begnügten sich mit dem, was sie hatten. Nicht so aber die Vertreter des Vormärz. Spätestens als 1832 die Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt wurde, waren die dunklen Wolken über Europa kaum mehr zu leugnen. Auf dem Hambacher Schlossberg trafen sich 30.000 Studenten, Abgeordnete, Handwerker, Bürger, Bauern und Winzer und forderten hier Freiheit, Bürgerrechte und nationale Einheit. Ihr Protest erzeugte jedoch nur eine einzige Wirkung: Die Repressionen wurden verstärkt. Doch so, wie sich ein Sturm nicht mehr stoppen lässt, wenn er erst einmal Fahrt aufgenommen hat, so ließ sich auch die Revolution nun nur noch mit sehr drastischen Mitteln bändigen, war aber längst nicht mehr aufzuhalten. Als es dann in Frankreich erneut zu revolutionären Aufständen kam, erhielten die deutschen Bestrebungen den Rückenwind, den es gebraucht hatte, damit im März 1848 die Deutsche Revolution losbrach.

 

Eskalation des Vormärz und Scheitern der Revolution


Heines Deutschland: Ein Wintermärchen aus dem VormärzDer Vormärz, mit seinen politischen Gedichten und Hymnen, seinen als Parodien getarnten kritischen Romanen und den ersten Gehversuchen der sozialistischen Literatur (Karl Marx und Friedrich Engels), hatte Wirkung gezeigt und jene Entwicklungen in Gang gesetzt, die schließlich zur Revolution führten. Dass diese Revolution scheiterte, änderte jedoch nichts daran, dass sie den Weg für die Weimarer Republik ebnete, weil sie zur endgültigen Auflösung des feudalen Systems führte und zur Entstehung des Rechtsstaats beitrug. Auch die Presse erfreute sich in der Zeit nach der Märzrevolution einer neuen Freiheit.

 

Insofern war die Revolution vielleicht kurzfristig gescheitert, doch der Samen, den der Vormärz gesät hatte und der mit dem Sturm der Märzrevolution in die Erde gekommen war, setzte sich fest und ging 70 Jahre später endlich auf, als die Weimarer Republik ausgerufen wurde. Ihre Nationalhymne, das „Lied der Deutschen“ von August Heinrich von Fallersleben, erinnert bis heute an die Ursprünge der Republik, an den Vormärz. Sie wurde 1841 mit der Sehnsucht nach einem liberalen, nationalen Deutschland im Herzen geschrieben, wie sie viele Schriftsteller des Vormärz empfanden.

 

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