Die Erben der Romantik – Literatur des Magischen
Romantik heißt mehr aus der Wirklichkeit zu machen, als sie unmittelbar bietet“, sagt Rüdiger Safranski, der 2007 das Buch „Romantik. Eine deutsche Affäre“ veröffentlicht hat. Novalis hat es noch schnöner definiert: Romantik heißt, "dem Gewöhnlichen ein ungewöhnliches Aussehen zu geben, das Banale in ein Geheimnis zu verwandeln". Wer kennt diese Sehnsucht nicht von sich? Nur die wenigsten suchen nicht ab und an nach einem Schlupfloch aus der Realität, träumen sich das, was ist schöner, aufregender, leidenschaftlicher – eben romantischer. Romantik im Sinne der Literatur ist, sich nicht mit dem zufriedengeben, was ist, mit dem Endlichen, dem Nüchternen, dem oft Grauen, ewig Wiederkehrenden, sondern ihm Unendlichkeit zu verleihen, es aus dem Alltäglichen herauszuheben und ihm mehr Farben zuzugestehen, als wir im Tuschkasten der täglichen Routine sonst finden.
Kurzer Überblick: Merkmale der Literaturepoche der Romantik:
- Flucht aus der Wirklichkeit
- Sehnsucht
- Wander- und Reisemotiv
- Begeisterung für das Unbewusste
- Ironie und Humor
- Starke Symbolik
- Volkstümlichkeit
- Naturverbundenheit
- Hinwendung zum Mittelalter
- Kritik am Spießertum
- Phantastische Elemente/ Fabelwesen
- Poetische Vorliebe für alles Unklare und Verschwimmende
- Künstler als freischaffendes Genie, das Wissenschaft, Kunst und Poesie vereint
In diesen Büchern lesen Sie mehr über die Romantik in der Literatur:
- Abitur-Wissen - Deutsch Deutsche Literaturgeschichte
- Arbeitshefte zur Literaturgeschichte: Romantik
- Aufklärung und Romantik. Epochenschnittstellen
- EinFach Deutsch Unterrichtsmodelle: Romantik
- Romantik: Lehrbuch Germanistik
- Lyrik der Romantik: Interpretationen zu 17 wichtigen Werken der Epoche
Wer an die Romantik denkt, der denkt an Literatur, an Clemens Brentano, an Josef von Eichendorff, an die Märchen der Gebrüder Grimm und an die Schauermärchen von E.T.A. Hoffmann, der denkt an Heinrich Heine und an Friedrich von Hardenberg, der in seinem Romanfragment „Heinrich von Ofterdingen“ das Sinnbild der romantischen Literatur geschaffen hat: die blaue Blume. Natürlich gibt es die Romantik auch in der Kunst. Man denke nur an das berühmte Gemälde der Kreidefelsen von Rügen von Caspar David Friedrich. Doch in der Regel ist man entweder empfänglicher für Worte als Bilder – oder eben umgekehrt. Dass man von beidem im gleichen Maße berührt wird, ist eher die Ausnahme. Das, was aber sowohl Hardenberg als auch Caspar David Friedrich zu ihren Werken inspiriert hat, war die Sehnsucht nach dem Irrealen. Wir haben uns heute so daran gewöhnt, realistisch zu denken, keine zu hohen Erwartungen zu haben, uns nichts zu wünschen, was nicht in unserem vermeintlichen Rahmen der Möglichkeiten liegt. Wir haben Angst, enttäuscht zu werden und beschränken uns deshalb auf das Machbare, das Erreichbare, das Unmittelbare.
Romantik in der Literatur: Magie im Alltäglichen
Damit vergeben wir uns jedoch etwas, das unschätzbar viel wert ist: Den Zauber im Alltäglichen zu sehen. Wer sich mit der Literaturepoche der Romantik auseinandersetzt, der weiß, dass nichts einfach nur so ist, wie es scheint. Die Realität wird mithilfe der eigenen Vorstellungskraft verzaubert. Das, was man dann entdecken kann, ist nicht nur für die Romantiker von damals eine Goldgrube gewesen, sie kann auch heute dazu beitragen, dass uns das Leben lebenswerter erscheint, dass wir uns glücklicher fühlen: „[die Romantiker] entdeckten unbekannte Welten. Sie sahen plötzlich die Schönheit der Landschaft. Wälder, Wiesen, Seen, die Nacht, der Mond - wofür niemand Augen gehabt hatte, wurde nun enthüllt. Es war oft das Naheliegende, das Übersehene“, erklärt Safranski. Wer heute so durch die Welt geht, der sieht das Poetische im Alltäglichen, das Schöne im Hässlichen, der öffnet sich den Dingen, die dem oberflächlichen Auge verborgen bleiben. Betrachtet man die Literaturepochen, ist die Romantik eine Konsequenz aus der Rationalität der Aufklärung. Der nüchterne, analysierende, vernünftige Blick auf die Welt reichte den Schriftstellern und Malern der Romantik nicht aus. Sie wollten ihrem Leben eine Magie hinzufügen. Heute ist es ähnlich. Nach dem Schrecken der zwei Weltkriege wäre es undenkbar gewesen, sich in der Literatur romantischen Schwärmereien und Träumen hinzugeben. Doch jetzt, nachdem sich die Schriftsteller und ihre Leser über Jahrzehnte hinweg selbst gegeißelt und zerfleischt haben, gibt es einen neuen Trend.
Schon 2003 beobachtete Volker Weidermann in seinem Essay über „Die neue deutsche Romantik“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Es ist, als habe die deutsche Literatur zurückgefunden zu sich selbst, habe all die beharrlichen Selbstthematisierungsbücher, die Metaromane, die Unglückssuche, Selbstzerfleischung vergangener Tage hinter sich gelassen für einen manchmal leichten, manchmal schweren, manchmal glücklichen, manchmal unglücklichen, für einen großen Herbst der Liebe.“ Auch wenn Weidermann damit vor allem die Renaissance des Liebesromans meint, so ist doch auch anderweitig in der Literatur ein Trend zur Romantik zu erkennen. Diese Romantik hat aber heute ein anderes Gesicht als damals, als sich die Dichter in Naturbeschreibungen verloren und sich in der beseelten Natur selbst entdeckten. Heute hüllt sich die Romantik in der Literatur in das Gewand von Fantasy-Romanen. Wie die Gedichte der Literaturepoche aus dem 18. und 19. Jahrhundert verweigern sich auch die Fantasy-Romane der Nüchternheit der rationalen Moderne. Dabei gehen die Vertreter der neuen Romantik sogar noch einen Schritt weiter: Sie versuchen nicht nur, unsere Welt in ein magisches Licht zu rücken, sie kreieren ganz eigene Welten, in denen ihre eigenen Gesetze gelten, in denen sie die Regeln bestimmen, die sie nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten.
Die neue Romantik in der Literatur: Fantasy-Romane
Diese neue Romantik in der Literatur ist damit noch konsequenter als ihr historischer Vorläufer. Und sie ist demokratischer. Mit der Erfindung der E-Books darf sich nun jeder seinen Träumen in schriftlicher Form hingeben. Wem die Welt schöner und lebenswerter erscheint, wenn es dort einen sanftmütigen, wunderschönen Vampir-Mann gibt, der einem jeden Wunsch von den Augen abliest, der darf diese Welt heute in Vampirromanen entstehen lassen und die Herzen der Leserinnen überall auf der Welt erobern – ganz ohne, dass ein Verlag diese romantischen Ergüsse absegnen müsste. Was gefällt, verkauft sich. Es gibt keine Zensur der Fantasie mehr. Darin sind wir der historischen Romantik weit voraus. Man kann das Eskapismus nennen, sich angesichts der Krisen überall auf der Welt in Fantasyreiche zu träumen, doch man kann es auch einfach als die Suche nach dem „guten Glück“, wie Joseph von Eichendorff es in seinem berühmten Gedicht „Die blaue Blume“ nennt. „Die blaue Blume“ ist das Symbol der Romantik geworden. Dieses „gute Glück“ beschreibt einen Zustand permanenten Glücks und lang andauernder Zufriedenheit. Es ist nicht eine glückliche Situation gemeint, sondern ein glückliches Schicksal, das ein Leben lang anhält. Und wenn sich dieses Glück dadurch erreichen lässt, dass man sich in Fantasy-Welten träumt und das Magische im Alltag sucht, dann ist das nur menschlich – und ein kleines Geschenk der Literatur an uns. Das wusste man schon in der Romantik und das weiß man noch heute.
Diese Romane aus der Romantik in der Literatur empfehlen wir Ihnen:
- Aus dem Leben eines Taugenichts
- Der Glöckner von Notre-Dame
- Der Graf von Monte Christo
- Der Sandmann
- Deutschland. Ein Wintermärchen
- Die Elenden
- Die Elixiere des Teufels
- Die Schatzinsel
- Fantasiestücke in Callot’s Manier
- Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl
- Heinrich von Ofterdingen
- Ivanhoe
- Prinz Friedrich von Homburg
- Vanity Fair – Jahrmarkt der Eitelkeiten
"Der Ozean am Ende der Straße" von Neil Gailman ist ein bezauberndes Beispiel für moderne Schauerromantik und ein weiterer Beweis dafür, dass die Romantik-Literatur überlebt hat.
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