Was gute Biographien von schlechten unterscheidet
Biographien sind die ewigen Bestseller: „Lehrerkind“, „Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers“, „Ansichten einer neugeborenen Mutter“, „Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker“, „Die Welt aus der Sicht eines Jungen, der 11 Jahre als hirntot galt“ und „Das Tagebuch einer Magersüchtigen“ – heute gibt es keine Grenzen mehr für das, worüber die Menschen in ihren Biographien und Autobiographien berichten. Alles wird Thema, nichts bleibt verborgen. Je schlimmer das Schicksal, desto dicker das Buch, desto höher die Platzierung auf den Bestseller-Listen. Was im Internet mit Facebook-Profilen und –Statusmeldungen seinen Anfang nimmt, findet sein Ende zwischen zwei Buchdeckeln und in den Verkaufscharts der Online-Buchhändler: Menschen schreiben Biographien, um ihr Innerstes offen zu legen – und damit im besten Falle noch Geld zu verdienen.
Was man früher nur seinem Tagebuch oder seinem besten Freund anvertraute, reicht heute gleich als Stoff für eine Biographie und muss - koste es, was es wolle – in die Welt hinaus. Unter all diesen Biographien, mit denen der Buchmarkt alljährlich überschwemmt wird, wird es immer schwerer, jene herauszusuchen, die es wirklich zu lesen lohnt, die auch einen Mehrwert für den Leser haben.
Schau her, ich habe etwas erlebt: gute Biographien
Eine gute Biographie ist nämlich eben nicht nur eine Darstellung des eigenen (oder fremden) grausamen Schicksals. Sie ist keine Aneinanderreihung von schmerzlichen Episoden, verpassten Gelegenheiten und Exzessen. Das auch diese Bücher ihre Daseinsberechtigung haben, soll nicht abgestritten werden. Nicht selten stellt das Schreiben eine Art von Therapie dar, hilft, das Erlebte zu verarbeiten. Biographien wollen oft auch Mut machen, zum Durchhalten inspirieren und neue Hoffnung schenken. Doch welchen Mehrwert es für den Leser haben soll, von einem Lehrerkind zu lesen, dass sich zu „lebenslänglich Pausenhof“ verurteilt fühlt, ist nicht so ganz klar.
Die Wahrheit ist: Die Biographie ist die literarische Königsdisziplin. Ein Enthüllungsbuch schreiben, kann jeder. Doch eine gute Biographie muss so viel mehr können, als nur das Innerste der Person schonungslos offenzulegen und abzurechnen. Sie ordnet das Leben eines Menschen in die Zeitgeschichte ein und schildern das Geschehen aus der Perspektive einer Figur, mit der man sich identifizieren kann. Das tun Romane zwar auch, aber der Reiz an Biographien ist, dass es sich dabei um reale Personen handelt, die Spuren hinterlassen, Tagebücher und Briefe geschrieben haben, für deren Ansichten es Beweise gibt. Hat diese Person selbst die Biographie als Autobiographie geschrieben, ist die Authentizität sogar noch größer, bekommen wir doch beinahe ungefiltert und ohne Grenzen die Innensicht des Menschen mit.
Verloren in der Masse der Biographien
Die Autobiographie ist dabei eine verhältnismäßig neue Erscheinung. Stars und Sternchen (und solche, die sich dafür halten), Menschen, die besonderes erlebt oder überlebt haben, suchen sich einen Ghost- oder Co-Writer und schreiben mit ihnen ihre Biographie. Bis vor einigen Jahrzehnten war die Biographie historisch wichtigen Persönlichkeiten vorbehalten. Sie wurde in der Regel nach dem Tod des Betreffenden verfasst (mitunter auch mit einigem zeitlichen Abstand) und war durch eine wissenschaftliche Herangehensweise gekennzeichnet. Eine besondere Herausforderung stellte dabei die historische Biographie dar.
Lange Zeit galt sie als antiquierte Form der personalisierten Geschichtsbetrachtung und wurde häufig mit Skepsis beäugt. Inzwischen aber sind Biographien historischer Persönlichkeiten wieder stark im Kommen. Auf den Bestsellerlisten laufen sie den Enthüllungsbüchern nicht selten den Rang ab.
Der deutsche Historiker Ulrich Raulff erklärte diese Begeisterung für die historische Biographie so: Sie „ist zur tragenden Säule des Buchmarkts geworden; sie unterwandert die Literatur und resümiert das Beste, was die Sachbücher zu bieten haben. Es ist, als ob das Publikum von einem maßlosen Hunger nach geschriebenem Leben befallen sei, einer Art literarischem Kannibalismus.“ Im Gegensatz zu den Biographien lebender Politiker, Schauspieler und Sportler, die vor allem durch ein sehr kurzfristiges Verfallsdatum glänzen und für den Leser – abgesehen von einem gewissen Voyeurismus – keinen Zweck erfüllen, haben diese Bücher über die Zeit hinweg Bestand.
Die porträtierten Persönlichkeiten sind Rettungsanker in einer Zeit, in der es viele Bilder aber kaum noch Vorbilder gibt. Sie vermitteln Werte und werden selbst zu Leitfiguren, an denen sich die Menschen orientieren, von denen sie sich inspirieren lassen können. Kurzzeitige Skandale und fürchterliche Enthüllungen in der Boulevard-Presse muss man hier nicht mehr befürchten. Sie stehen für sich und scheinen unverwüstlich. So gibt die Biographie als literarische Form etwas, was nur wenige Bücher geben können.
Was macht eine gute Biographie aus?
Eine gute historische Biographie gewährt uns einen Einblick in das Denken, Handeln und Fühlen der porträtierten Person und lässt uns an ihrer persönlichen Entwicklung teilhaben. Während Daniela Katzenberger in „Sei schlau, stell dich dumm“, herausschreit, wie man mit nichts berühmt werden kann, sehen wir in guten Biographien die Lebensleistung des Menschen, bewundern seine Taten, die auf seine Zeit maßgeblichen Einfluss hatte – in welcher Form auch immer. Diese Biographien wollen nicht zwangsläufig gefällig sein und auch die Menschen, von denen sie erzählen, sollen es nicht sein.
Eine gute Hitler-Biographie ersetzt viele andere Bücher und ist wertvoller als der Großteil der Biographien und Autobiographien, die heute den Markt überschwemmen. Natürlich erhalten wir darin keinen exklusiven Einblick in die Psyche des Diktators, doch so nah, wie man seinem Denken und Fühlen kommen kann, bringen uns diese Bücher an ihn heran. Die psychoanalytischen Ansätze, die Bücher, wie „Hitler – Eine Biographie“ und „Hitler – Eine Bilanz“ enthalten, heben diese Werke über die Masse der historischen Bücher, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigen, hinweg. Zugleich soll es nicht darum gehen, den Menschen bis ins Letzte zu sezieren. Die Soziologin Antonia Grunenberg erklärte in der ZEIT, gute Biographien „enthüllen die Geheimnisse nicht, sie umkreisen sie, lassen aber ihre Rätselhaftigkeit unangetastet.“
Wir müssen nicht alles über jeden Menschen wissen, der meint, seine Biographie habe auf dem Markt noch gefehlt, doch wir müssen uns den Menschen annähern können, die unsere Welt geprägt haben. Genau das unterscheidet eine gute von einer schlechten Biographie. Und nur gute Biographien sind auch Bücher, die es sich zu lesen lohnt.
Gute Biographien - Diese Bücher empfehlen wir Ihnen:
Architekten
Autoren
- Als ich ein kleiner Junge war von Erich Kästner
- Astrid Lindgren. Ihr Leben
- Beim Häuten der Zwiebel von Günter Grass
- Das Leben und das Schreiben: Memoiren von Stephen King
- Der leidenschaftliche Zeitgenosse: Zum Werk von Roger Willemsen
- Die Brüder Grimm
- Die Erfindung des Lebens von Hanns-Josef Ortheil
- Die furchtlosen Memoiren der Sheilah Graham
- Die Zeit ist kaputt. Die Lebensgeschichte des Erich Kästner
- Ein anderes Leben von Per Olov Enquist
- Goethe
- Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft
- Ich bin der eselhafteste Mensch, den ich je gekannt habe: Neue Geheimnisse meiner Autobiographie von Mark Twain
- In einem anderen Land
- Kafka: Die frühen Jahre
- Kafka: Die Jahre der Erkenntnis
- Kafka - Die Jahre der Entscheidungen
- Karambolagen: Begegnungen mit Zeitgenossen
- Konzert ohne Dichter über Rainer Maria Rielke und Heinrich Vogeler
- Letzte Zugabe von Dieter Hildebrandt
- Marcel Reich-Ranicki: Die Biografie
- Mein Leben von Marcel Reich-Ranicki
- Mein Leben von Peter Scholl-Latour
- Nachrichten aus meinem Leben von Erwin Strittmatter
- Nietzsche: Biographie seines Denkens
- Outsider: Die Autobiografie von Frederick Forsyth
- Salinger: Ein Leben
- Shakespeare: Die Biographie
- Thomas Mann und die Seinen
- Treibsand: Was es heißt, ein Mensch zu sein von Henning Mankell
- Unser Shakespeare
- Vorgefühl der nahen Nacht über Stefan Zweig
Kabarettisten/Fernsehen/Regisseure
- Das wird mir nicht nochmal passieren von Tom Paul
- Der Junge muss an die frische Luft von Hape Kerkeling
- Herbstblond von Thomas Gottschalk
- Kreis ohne Meister: Stefan Georges Nachleben
- Keine Zeit für Arschlöcher von Horst Lichter
- Martin Scorsese: Sein Leben, seine Filme
- My Most Wanted Life - Die Autobiografie von Ray Cokes
- Pasolini Roma
- So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! von Christoph Schlingensief
- Steven Spielberg – Zwischen Arthouse und Effektkino
Maler
- Bernini. Erfinder des barocken Rom
- Da Vincis Vermächtnis
- Kollwitz: Die Biografie
- Picasso an der Riviera
- Soutines letzte Fahrt
Musiker
- André Heller: Feuerkopf
- Born to Run: Bruce Springsteen
- Bruce. Die Springsteen-Biografie
- Das Walross und die Elefanten. John Lennons revolutionäre Jahre
- David Bowie. 100 Seiten
- Der Teufel in Dresden von Klaus Funke
- Die Toten Hosen: Am Anfang war der Lärm
- Drive-By Shots von Nagel
- Just Kids
- Life
- Mein Weg: Autobiografie von Heino
- Merci, Udo! über Udo Lindenberg
- Talking Jazz
- Udo Lindenberg – Ich mach mein Ding
- Warte nicht auf bessre Zeiten von Wolf Biermann
Schauspieler
- Bud Spencer: Mein Leben, meine Filme
- Bud Spencer: Was ich euch noch sagen wollte ...
- Da geht ein Mensch
- Das Mädchen im Spiegel von Anjelica Huston
- Dem Leben ins Gesicht gelacht von Liselotte Pulver
- Furious Love: Elizabeth Taylor und Richard Burton
- Kinski – Vermächtnis
- Meine Tage in gelben Socken
- Robert de Niro: Ein Leben
- Schauen Sie mal böse: Geschichten aus meinem Schauspielerleben von Mario Adorf
- Total Recall von Arnold Schwarzenegger
- Was das Leben sich erlaubt von Hardy Krüger
- Zielgerade
Eine etwas andere Künstler-Biographie: "Choupette: Aus dem Leben einer Katze an der Seite von Karl Lagerfeld"
- Alles zu seiner Zeit: Mein Leben von Michail Gorbatschow
- Angela Merkel – Die Protestantin
- Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin
- Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
- Aus Sorge um Europa: Ein Appell von Helmut Kohl
- Außer Dienst: Eine Bilanz
- Barack Obama: Der schwarze Kennedy
- Bismarck. Sturm auf Europa
- Das erste Leben der Angela M.
- Der lange Weg zur Freiheit
- Der Unbequeme
- Die Familie Willy Brandt
- Die Kanzlerin: Angela Merkels Weg zur Macht
- Die Queen
- Ein amerikanischer Traum: Die Geschichte meiner Familie
- Ein Leben in Krieg und Frieden
- Familie de Maizière: Eine deutsche Geschichte
- Ganz oben Ganz unten
- Gauß: Eine Biographie
- Gerhard Schröder: Die Biographie
- Helmut Kohl – Eine politische Biographie
- Jean Ziegler: Das Leben eines Rebellen
- Joachim Gauck. Der richtige Mann?
- Joachim Gauck - Träume vom Paradies
- John F. Kennedy. 100 Seiten
- Loki Schmidt: Die Biographie
- Mandelas Weg
- Mao: Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes
- Meine spirituelle Autobiographie vom Dalai Lama
- Sigmar Gabriel: Patron und Provokateur
- Was ich noch sagen wollte von Helmut Schmidt
- Zwischen zwei Leben - Von Liebe, Tod und Zuversicht von Guido Westerwelle
- Berthold Beitz: Die Biographie
- Der Wolf der Wall Street
- Diesel
- Idea Man
- Roland Mack – Herr der Achterbahnen
- Steve Jobs
- Womit ich nie gerechnet habe
- Ziemlich bester Schurke
- Der Fotograf von Auschwitz - Das Leben des Wilhelm Brasse
- Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer
- Emin Pascha, Herr von Äquatoria
- Erinnerungen von Albert Speer
- Eva Braun: Leben mit Hitler
- Himmler privat: Briefe eines Massenmörders
- Hitler – Eine Biographie
- Hitler: Biographie von Peter Longerich
- Maud Gonne. Ein Leben für Irland
- Sir Francis Drake - Pirat im Dienst der Queen
- Der Fall Eduard Einstein
- Leben des Galilei
- Paul Watzlawick - die Biografie: Die Entdeckung des gegenwärtigen Augenblicks
- Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste
- Am seidenen Faden
- Bernd Rosemeyer - Mein Mann, der Rennfahrer
- Der Boxer: Die Überlebensgeschichte des Hertzko Haft
- Dranbleiben!, Warum Talent nur der Anfang ist
- Fußballgefühle
- Geradeaus: Höhen und Tiefen meines Lebens
- Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall
- Ich bin Zlatan Ibrahimovic - Meine Geschichte
- In eisigen Höhen – Das Drama am Mount Everest
- Jürgen Klopp
- Königsadler – Mein Leben als Skispringer
- Live: Die Länderspiele meines Lebens
- Luis Trenker ungeschminkt
- Mein Leben am Limit
- Mein Leben in 13 Runden
- Michael Schumacher: Ein Leben für die Formel 1
- Muhammad Ali
- Niki Lauda: von außen nach innen
- Open
- Quiet Leadership - wie man Menschen und Spiele gewinnt von Carlo Ancelotti
- Robert Enke: Ein allzu kurzes Leben
- Ronaldo: Die Geschichte eines Besessenen
- Sebastian Deisler: Zurück ins Leben
- Über Leben
- Volle Pulle. Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker
- Alleinflug: Mein Leben
- Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
- Brief an mein Leben
- Codewort: Seidenstrumpf
- Der Schleier der Angst
- Die furchtlosen Memoiren der Sheilah Graham
- Die Queen
- Die Unzerbrechliche: Elf Jahre in Gefangenschaft. Wie ich überlebte
- Die weiße Massai
- Eva Braun: Leben mit Hitler
- Frauen erobern die Lüfte
Sehr empfehlenswert ist auch: "Vom Inder, der auf dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um dort seine große Liebe wiederzufinden" von Per J. Andersson.
Wie Sie selber Biographien schreiben
Wenn Sie selbst Biographien schreiben oder mit einer Autobiographie unsterblich werden wollen, empfehlen wir folgende Bücher:
- Autobiographisch Schreiben: Lebenserinnerungen gekonnt zu Papier gebracht
- Autobiografisches als literarisches Schreiben
- Erinnerungen und Autobiografie schreiben
- Schreiben Tag für Tag: Journal und Tagebuch
- Schreiben über mich selbst: Spielformen des autobiografischen Schreibens von Hanns-Josef Ortheil
- Spaziergang durch das Leben: Schreiben Sie Ihre Biografie
Literaturtipp der Woche
Als der junge Daniel von seinem Vater zum „Friedhof der vergessenen Bücher“ mitgenommen wird, hat er keine Ahnung, dass dieser...
Top-Thema
Für die Nachgeborenen ist die DDR ein fernes, fremdes Land und ihr Wissen über die deutsch-deutsche Geschichte ist häufig mehr als bruchstückhaft. Dabei gibt es viele gute Bücher zum Thema Leben in der DDR.